Schon mal von dem Wort „Bedarfsanalyse“ gehört? Wenn du danach googlest, findest du in den Ergebnissen vorzugsweise Webseiten zum Thema Vertrieb. Denn im Sales ist klar: Erst wenn du den Bedarf deines Kunden kennst, kannst du dem Kunden die passende Lösung aus deinem Angebotsportfolio zum Kauf anbieten. Aber bevor du etwas verkaufts, musst du es erst einmal entwickeln. Wenn du ein Produkt hast, das keinen Bedarf stillt, ist es wertlos und du kannst es auch nicht verkaufen bzw. werden die Kunden nach dem Kauf nicht zufrieden sein. Deshalb ist eine adäquate Bedarfsanalyse bereits bei der Entwicklung von Produkten obligatorisch. In der Praxis ist es jedoch leider eher die Regel, als die Ausnahme, dass Anforderungen im Requirements Engineering lösungs- statt bedarfsorientiert ermittelt werden.
In diesem Artikel bekommst du 10 Fragetechniken an die Hand, die aus dem Bereich der Bedarfsanalyse stammen, aber ebenso gut im Rahmen der Anforderungsanalyse genutzt werden können, um Bedarfe und darauf abgestimmt Lösungsansätze in Interviews mit dem Kunden zu ermitteln. Wenn du diese Fragetechniken anwendest, erhältst du die Sicherheit die wahren Bedürfnisse und Wünsche des Kunden zu ermitteln und dich nicht mehr mit allgemeinen Aussagen, wie „Wir wollen System X modernisieren“ oder „Wir wollen ein Tool mit den Funktionen Y und Z haben“ zufrieden zu geben. Denn das führt definitiv nicht zu zufriedenen Kunden, sondern zu vielen Problemen in Entwicklungsprojekten.
Fragetechniken in der Anforderungsanalyse
Offene Fragen
Wer im Sales arbeitet, der weiß, dass Fragen in der Regel offen gestellt werden sollten. Warum? Um kurze Ja-/Nein-Antworten zu verhindern. „Möchten Sie Produkt A kaufen?“ – „Nein“. Auch in der Anforderungsanalyse sind offene Fragen empfehlenswert. Sie fördern ausführliche Antworten und ermöglichen es den Befragten, ihre Gedanken frei zu äußern. Sie eignen sich gut, um einen umfassenden Überblick über die Meinungen, Bedürfnisse und Perspektiven der Stakeholder zu erhalten.
Beispiele für offene Fragen:
„Können Sie mir mehr über Ihre Herausforderungen im aktuellen Prozess erzählen?“
„Was sind Ihre Hauptziele bei der Einführung dieser Software?“
Selbstreflexionsfragen
Selbstreflexionsfragen fördern das Bewusstsein für persönliche Perspektiven, Motive und Ziele der Stakeholder in Bezug auf das zu entwickelnde System. Sie sind ebenfalls zielführend, um den tatsächlichen Bedarf und die Einwände eines einzelnen Stakeholders gegenüber dem Projekt bzw. Produkt zu identifizieren.
Beispiele für Selbstreflexionsfragen:
„Wie würden Sie den Erfolg dieses Projekts persönlich definieren?“
„Was denken Sie, könnten potenzielle Herausforderungen bei der Umsetzung dieser Anforderungen sein?“
Follow-up-Fragen
Follow-up-Fragen vertiefen das Verständnis, klären Unklarheiten und ermöglichen detailliertere Informationen über den Bedarf der Stakeholder. Sie werden nach Antworten auf initiale Fragen angewandt, um auf spezifische Punkte einzugehen oder weiter in die Tiefe zu gehen. Sie bilden eine gute Grundlage, um konkrete Probleme, Herausforderungen und Wünsche zu identifizieren, um daraufhin konkrete Features ableiten, die darauf einzahlen.
Beispiele für Follow-up-Fragen:
„Sie haben erwähnt, dass die Effizienz verbessert werden soll. Könnten Sie konkrete Beispiele nennen, wo Sie Verbesserungsmöglichkeiten sehen?“
„Das ist interessant. Könnten Sie das genauer erklären?“
Geschlossene Fragen
Geschlossene Fragen sind in Verkaufsgesprächen eher nicht en vogue. Im Rahmen von Interviews im Requirements Engineering werden hingegen klare und präzise Antworten benötigt, um konkrete Fakten oder Bestätigungen über angestrebte Lösungsansätze zu erhalten. Geschlossene Fragen eignen sich in der Regel aber erst dann, wenn durch andere Fragetechniken der Bedarf relativ klar umrissen ist. In dem Falle kann der Bedarf durch eine geschlossene Frage validiert werden, geprüft werden, ob bestimmte Features aus Sicht des Kunden zum Stillen seines Bedarfs beitragen oder Prioritäten von Anforderungen bestimmt werden.
Beispiele für geschlossene Fragen:
„Soll die neue Software in der Lage sein, Funktion X zu unterstützen?“
„Ist die Effizienz oder die Benutzerfreundlichkeit wichtiger für Sie?“
Szenario-Fragen
Szenario-Fragen helfen dem Befragten dabei, sich konkrete Anwendungsfälle vorzustellen und die praktische Umsetzung zu verstehen. Sie ermöglichen eine realitätsnahe Diskussion über die potenzielle Nutzung des zu entwickelnden Systems in verschiedenen Situationen. Mit Hilfe von Szenario-Fragen lassen sich Bedarfe validieren und Potentiale des Produkts in bislang unentdeckten Szenarien zu ermitteln, die im weiteren genauer untersucht werden können.
Beispiele für Szenario-Fragen:
„Können Sie sich ein ideales Szenario vorstellen, wie die Software in Ihrem täglichen Workflow integriert wird?“
„In welchen Situationen sehen Sie den größten Nutzen durch die Nutzung dieser Software?“
Hypothetische Fragen
Hypothetische Fragen öffnen die Tür für kreative Ideen und ermöglichen die Erkundung von Möglichkeiten. Sie sind hilfreich, um herauszufinden, welche Funktionen oder Ansätze für die Stakeholder besonders wünschenswert wären, ohne auf aktuelle Einschränkungen einzugehen. Durch hypothetische Fragen werden oftmals auch Emotionen beim Befragten eröffnet, die wiederum einen sehr guten Einblick in den Bedarf des Stakeholders offenbaren.
Beispiele für hypothetische Fragen:
„Wenn Sie eine Funktion hinzufügen könnten, die Ihnen das Leben erleichtert, welche wäre das?“
„Angenommen, es gibt technologische Einschränkungen. Welche Funktionen sind dann am wichtigsten für Sie?“
Negativ-Fragen
Negativ-Fragen helfen dabei klare Grenzen und Abneigungen der Stakeholder zu identifizieren. Sie sind besonders dann hilfreich, wenn Unsicherheit über die Passgenauigkeit einer Lösung auf das Problem besteht und die Gewichtung von Nachteilen einer potentiellen Lösung zu ermitteln. Auch hier werden Emotionen geweckt, die einen starken Blick in die Gefühlswelt des Befragten in Bezug auf das zu entwickelnde Produkt offenbaren.
Beispiele für Negativ-Fragen:
„Gibt es Funktionen oder Eigenschaften, die Sie definitiv nicht in der Software haben möchten?“
„Was hat Sie in der Vergangenheit an ähnlichen Lösungen frustriert?“
Skalierungsfragen
Skalierungsfragen liefern Einblicke in zukünftige Bedarfe und helfen bei der Planung für das Wachstum. Bei Projekten, bei denen die Skalierbarkeit im Laufe der Zeit von Bedeutung ist, sind Skalierungsfragen sehr hilfreich.
Beispiele für Skalierungsfragen:
„Wie erwarten Sie, dass sich Ihr Bedarf an dieser Software in den nächsten 5 Jahren ändern wird?“
„Können Sie mir mehr darüber erzählen, wie die Anforderungen bei steigender Benutzerzahl berücksichtigt werden sollten?“
Priorisierungsfragen
Priorisierungsfragen helfen dabei, die wichtigsten und dringlichsten Bedarfe und Anforderungen zu identifizieren. Mit Hilfe der Antworten auf diese Fragen kann das Projektteam sich auf die Schlüsselaspekte des Projekts und der Ressourcenallokation fokussieren.
Beispiele für Priorisierungsfragen:
„Welche der identifizierten Anforderungen sind für Sie am dringendsten?“
„Wenn Sie drei Hauptziele auswählen müssten, welche wären das?“
Konsensfragen
Konsensfragen fördern die Kommunikation und Identifikation von Meinungsverschiedenheiten zwischen den Stakeholdern. Sie kommen dann zum Einsatz, wenn im Projekt viele verschiedene Stakeholdergruppen mit unterschiedlichen Zielen involviert sind.
Beispiele für Konsensfragen:
„Gibt es Bereiche, in denen die Teammitglieder unterschiedliche Ansichten zu den Anforderungen haben?“
„Sind sich alle Stakeholder einig, dass diese Funktion für das Projekt entscheidend ist?“
Neben guten Fragen zählt natürlich im Anschluss vor alem eins: Gut und aktiv zu hören! Sei sensibel gegenüber den Antworten deines Gegenübers. Beobachte seine Reaktion, seine Tonalität, denn Wünsche und Herausforderungen, aus denen sich letztlich Bedarfe ableiten, sind immer emotional!
Ich hoffe, dass du mit diesem Blog-Post Impulse für deine nächsten Interviews, Umfragen und Workshops erhalten hast. Fallen dir weitere Fragetechniken ein?
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